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In den letzten zehn Jahren wurde offensichtlich,
dass Männchen verschiedenster Tierarten ihre Paarungs-partnerinnen
häufig mit mehreren sekundären sexuellen Signalen (multiple
signals) anlocken. Vögel machen einerseits mit melodiösen Gesängen
auf sich aufmerksam, sie sind aber andererseits auch bunt gefärbt.
Exotische Fische zeigen oft komplexe Balzverhalten und sind gleichzeitig
auffällig gefärbt. Um zu erklären, warum Tiere mehrere
sexuelle Ornamente besitzen und wie sich diese entwickelt haben, entstanden
in der Folge verschiedene theoretische Modelle. Bisher fehlen jedoch viele
empirische Daten, welche gewisse Annahmen und Voraussagen dieser Modelle
unterstützen. An diesem Punkt setzt die vorliegende Dissertation
an. Mit einem experimentellen Ansatz wurden verschiedene bisher unbestätigte
Hypothesen anhand der einheimischen Feldgrille Gryllus campestris untersucht.
Diese Insektenart eignet sich ausgezeichnet, das Kommunikationsverhalten
zwischen den beiden Geschlechtern zu studieren. Grillenmännchen erzeugen
mit den beiden Vorderflügeln einen Werbegesang, um Weibchen anzulocken.
Dieser Gesang besteht aus mehreren, teilweise voneinander unabhängigen
Komponenten. Die Tonlage (Grundfrequenz) wird im Wesentlichen durch die
Grösse einer speziellen Struktur (Harfe) der Flügel bestimmt,
und widerspiegelt so die Körpergrösse eines Männchens.
Von Grillenweibchen ist bekannt, dass sie Männchen bevorzugen, welche
mit einer tiefen Grundfrequenz zirpen. Die ersten beiden Kapitel der Dissertation
befassen sich mit dem männlichen Part der intersexuellen Kommunikation,
während Kapitel 3 die weibliche Seite beleuchten.
Welche Informationen übermittelt ein Männchen einem Weibchen
mit Hilfe sexueller Signale? Die ’multiple message’ Hypothese
sagt voraus, dass die einzelnen Signale die männliche körperliche
Verfassung (Kondition) unterschiedlicher Lebensphasen reflektieren. In
Kapitel 1 untersuchte ich, welche Komponenten des männlichen Grillengesangs
die momentane Kondition eines erwachsenen Männchens widerspiegeln.
Dazu variierte ich das Futterangebot frisch gehäuteter Männchen
während den ersten neun Tagen des Adultstadiums. Die Kontroll Individuen
hatten unbeschränkten Zugang zur Nahrung, während den experimentellen
Tieren ein limitiertes Nahrungsangebot zur Verfügung stand. Diese
Manipulation der Futterverfügbarkeit beeinflusste einerseits das
Körpergewicht: Die Kontroll-Tiere waren nach neun Tagen viel schwerer
als die Futter limitierten Tiere. Andererseits wurde durch die unterschiedliche
Futterbehandlung eine Komponente des Gesangs verändert: So zeigten
Kontroll-Individuen eine viel höhere Zirp-Rate (Anzahl Zirpe pro
Sekunde) als die experimentellen Tiere. Folglich drückt diese Komponente
des männlichen Werbegesangs die momentane Kondition eines Männchens
aus.
In Kapitel 2 stand die Frage im Vordergrund, welche Komponenten des Grillengesangs
die vergangene juvenile Entwicklungsphase eines Männchens anzeigen.
Zur Beantwortung dieser Frage wurden männliche Larven (Nymphen) während
den letzten rund 40 Tage der Entwicklung bei zwei unterschiedlichen Futterniveaus
aufgezogen. Die Kontroll-Individuen erhielten wiederum unbegrenzt Nahrung,
während den experimentellen Nymphen die Nahrung limitiert wurde.
Die Futterbehandlung hatte zur Folge, dass die experimentellen Individuen
als adulte Tiere kleiner waren als die Kontroll-Individuen und verhältnismässig
kleinere Flügel ausgebildet hatten. Deshalb zirpten die experimentellen
Tiere auf relativ höheren Tonlagen als gleich grosse Kontroll-Männchen.
Somit wurde gezeigt, dass die Grundfrequenz des Gesangs nicht nur die
Grösse eines Männchens, sondern zusätzlich auch seine juvenile
Kondition widerspiegelt. Die ersten beiden Kapitel bestätigten somit
die ‚multiple message’ Hypothese, indem sie darlegen, dass
zwei unabhängige Komponenten des sexuellen Signals die Kondition
eines Männchens zu verschiedenen Lebensphasen reflektieren.
Wie wichtig sind nun aber diese beiden Komponenten des Grillengesangs
(Zirprate und Grundfrquenz) für die Partnerwahl des Weibchens? Theoretische
Modelle erwarten, dass Weibchen eine stärkere Bevorzugung von Signalen
zeigen, welche die Kondition vergangener Lebensabschnitte widerspiegeln.
Grillenweibchen sollten demnach eine grössere Vorliebe für die
Grundfrequenz als für die Zirprate zeigen. Mit einem Präferenzexperiment
ging ich dieser theoretischen Vorhersage in Kapitel 3 nach. In einer Arena
spielte ich von zwei Lautsprechern verschiedene Werbegesänge ab,
welche sich entweder in keiner, einer oder aber beiden der Komponenten
unterschieden. Die Weibchen wurden einzeln in eine der Wahlsituationen
versetzt. Das Wahlresultat liess darauf schliessen, dass Weibchen tiefe
Grundfrequenzen und hohe Zirpraten bevorzugen, allerdings die Gundfrequenz
viel stärker gewichten als die Zirprate. Die weibliche Wahltaktik
kann als Zwei-Schritte-Prozess beschrieben werden: In einem ersten Schritt
ziehen die Weibchen nur die Grundfrequenz in Betracht. Sie bevorzugen
jenes Männchen, welches auf der tiefsten Tonlage singt. Wenn sich
die Grundfrequenzen verschiedener Männchen jedoch nicht unterscheiden,
so konzentriert sich das Weibchen in einem zweiten Schritt nur noch auf
die Zirprate und entscheidet sich für das Männchen mit der höchsten
Zirprate. Dieses Resultat bestätigt die Hypothese, dass Weibchen
dasjenige Signal bevorzugen, welches die vergangene Kondition eines Männchens
anzeigt.
Grundsätzlich muss ein Weibchen für die Partnerwahl Zeit aufbringen,
welche als Kosten angesehen wird. Theoretische Studien gehen davon aus,
dass die Wahlkosten mit der Anzahl der bei der Wahl berücksichtigten
Signale zunehmen. Experimente bei verschiedenen Tierarten lassen hingegen
vermuten, dass genau das Gegenteil der Fall ist und sich die Kosten durch
die Verwendung mehrerer Signale eher verringern. In Kapitel 3 verifizierte
ich deshalb zusätzlich, wie sich die Zeit-Kosten verändern,
wenn ein Grillenweibchen seine Partnerwahl auf ein oder zwei Signale abstützen
kann. Dazu bestimmte ich, wieviel Zeit ein Weibchen bean-spruchte, um
sich für einen der beiden Gesänge zu entscheiden. Unterschieden
sich die beiden Gesänge in der Zirp-Rate, so benötigte ein Weibchen
im Durchschnitt 14 min für die Wahl. Wenn sich entweder die Grundfrequenz
oder keine der Komponenten unterschieden, so dauerte die Wahl durchschnittlich
ca. 22 min. Variierten beide Komponenten in der Wahlsituation, so vergingen
ungefähr 19 min. Dieses Resultat zeigt, dass entgegen theoretischen
Annahmen die Verwendung mehrerer Signale für die Partnerwahl nicht
mit erhöhten zeitlichen Kosten verbunden ist. Im Gegenteil könnten
sich die Kosten sogar reduzieren, wenn mehrere Komponenten bei der Wahl
eine Rolle spielen.
Der Werbegesang dient einem Grillenmännchen offenbar zur Übermittlung
von Informationen über seine momentane und vergangene Kondition an
seine potentiellen Paarungspartnerinnen. Die Weibchen ihrerseits messen
bei der Partnerwahl jedoch jener Signalkomponente, welche die vergangene
männliche Kondition anzeigt, einen grösseren Stellenwert bei,
als der Komponente für seine momentane Verfassung. Die zeitlichen
Kosten der Partnerwahl scheinen sich für das Weibchen jedoch nicht
zu erhöhen, wenn es mehrere Signale verwenden kann, um Unterschiede
zwischen Männchen zu erkennen.
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