Siedlung Schlossmatte
 

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Zusammenfassung Dissertation Hannes Scheuber

In den letzten zehn Jahren wurde offensichtlich, dass Männchen verschiedenster Tierarten ihre Paarungs-partnerinnen häufig mit mehreren sekundären sexuellen Signalen (multiple signals) anlocken. Vögel machen einerseits mit melodiösen Gesängen auf sich aufmerksam, sie sind aber andererseits auch bunt gefärbt. Exotische Fische zeigen oft komplexe Balzverhalten und sind gleichzeitig auffällig gefärbt. Um zu erklären, warum Tiere mehrere sexuelle Ornamente besitzen und wie sich diese entwickelt haben, entstanden in der Folge verschiedene theoretische Modelle. Bisher fehlen jedoch viele empirische Daten, welche gewisse Annahmen und Voraussagen dieser Modelle unterstützen. An diesem Punkt setzt die vorliegende Dissertation an. Mit einem experimentellen Ansatz wurden verschiedene bisher unbestätigte Hypothesen anhand der einheimischen Feldgrille Gryllus campestris untersucht.
Diese Insektenart eignet sich ausgezeichnet, das Kommunikationsverhalten zwischen den beiden Geschlechtern zu studieren. Grillenmännchen erzeugen mit den beiden Vorderflügeln einen Werbegesang, um Weibchen anzulocken. Dieser Gesang besteht aus mehreren, teilweise voneinander unabhängigen Komponenten. Die Tonlage (Grundfrequenz) wird im Wesentlichen durch die Grösse einer speziellen Struktur (Harfe) der Flügel bestimmt, und widerspiegelt so die Körpergrösse eines Männchens. Von Grillenweibchen ist bekannt, dass sie Männchen bevorzugen, welche mit einer tiefen Grundfrequenz zirpen. Die ersten beiden Kapitel der Dissertation befassen sich mit dem männlichen Part der intersexuellen Kommunikation, während Kapitel 3 die weibliche Seite beleuchten.
Welche Informationen übermittelt ein Männchen einem Weibchen mit Hilfe sexueller Signale? Die ’multiple message’ Hypothese sagt voraus, dass die einzelnen Signale die männliche körperliche Verfassung (Kondition) unterschiedlicher Lebensphasen reflektieren. In Kapitel 1 untersuchte ich, welche Komponenten des männlichen Grillengesangs die momentane Kondition eines erwachsenen Männchens widerspiegeln. Dazu variierte ich das Futterangebot frisch gehäuteter Männchen während den ersten neun Tagen des Adultstadiums. Die Kontroll Individuen hatten unbeschränkten Zugang zur Nahrung, während den experimentellen Tieren ein limitiertes Nahrungsangebot zur Verfügung stand. Diese Manipulation der Futterverfügbarkeit beeinflusste einerseits das Körpergewicht: Die Kontroll-Tiere waren nach neun Tagen viel schwerer als die Futter limitierten Tiere. Andererseits wurde durch die unterschiedliche Futterbehandlung eine Komponente des Gesangs verändert: So zeigten Kontroll-Individuen eine viel höhere Zirp-Rate (Anzahl Zirpe pro Sekunde) als die experimentellen Tiere. Folglich drückt diese Komponente des männlichen Werbegesangs die momentane Kondition eines Männchens aus.
In Kapitel 2 stand die Frage im Vordergrund, welche Komponenten des Grillengesangs die vergangene juvenile Entwicklungsphase eines Männchens anzeigen. Zur Beantwortung dieser Frage wurden männliche Larven (Nymphen) während den letzten rund 40 Tage der Entwicklung bei zwei unterschiedlichen Futterniveaus aufgezogen. Die Kontroll-Individuen erhielten wiederum unbegrenzt Nahrung, während den experimentellen Nymphen die Nahrung limitiert wurde. Die Futterbehandlung hatte zur Folge, dass die experimentellen Individuen als adulte Tiere kleiner waren als die Kontroll-Individuen und verhältnismässig kleinere Flügel ausgebildet hatten. Deshalb zirpten die experimentellen Tiere auf relativ höheren Tonlagen als gleich grosse Kontroll-Männchen. Somit wurde gezeigt, dass die Grundfrequenz des Gesangs nicht nur die Grösse eines Männchens, sondern zusätzlich auch seine juvenile Kondition widerspiegelt. Die ersten beiden Kapitel bestätigten somit die ‚multiple message’ Hypothese, indem sie darlegen, dass zwei unabhängige Komponenten des sexuellen Signals die Kondition eines Männchens zu verschiedenen Lebensphasen reflektieren.
Wie wichtig sind nun aber diese beiden Komponenten des Grillengesangs (Zirprate und Grundfrquenz) für die Partnerwahl des Weibchens? Theoretische Modelle erwarten, dass Weibchen eine stärkere Bevorzugung von Signalen zeigen, welche die Kondition vergangener Lebensabschnitte widerspiegeln. Grillenweibchen sollten demnach eine grössere Vorliebe für die Grundfrequenz als für die Zirprate zeigen. Mit einem Präferenzexperiment ging ich dieser theoretischen Vorhersage in Kapitel 3 nach. In einer Arena spielte ich von zwei Lautsprechern verschiedene Werbegesänge ab, welche sich entweder in keiner, einer oder aber beiden der Komponenten unterschieden. Die Weibchen wurden einzeln in eine der Wahlsituationen versetzt. Das Wahlresultat liess darauf schliessen, dass Weibchen tiefe Grundfrequenzen und hohe Zirpraten bevorzugen, allerdings die Gundfrequenz viel stärker gewichten als die Zirprate. Die weibliche Wahltaktik kann als Zwei-Schritte-Prozess beschrieben werden: In einem ersten Schritt ziehen die Weibchen nur die Grundfrequenz in Betracht. Sie bevorzugen jenes Männchen, welches auf der tiefsten Tonlage singt. Wenn sich die Grundfrequenzen verschiedener Männchen jedoch nicht unterscheiden, so konzentriert sich das Weibchen in einem zweiten Schritt nur noch auf die Zirprate und entscheidet sich für das Männchen mit der höchsten Zirprate. Dieses Resultat bestätigt die Hypothese, dass Weibchen dasjenige Signal bevorzugen, welches die vergangene Kondition eines Männchens anzeigt.
Grundsätzlich muss ein Weibchen für die Partnerwahl Zeit aufbringen, welche als Kosten angesehen wird. Theoretische Studien gehen davon aus, dass die Wahlkosten mit der Anzahl der bei der Wahl berücksichtigten Signale zunehmen. Experimente bei verschiedenen Tierarten lassen hingegen vermuten, dass genau das Gegenteil der Fall ist und sich die Kosten durch die Verwendung mehrerer Signale eher verringern. In Kapitel 3 verifizierte ich deshalb zusätzlich, wie sich die Zeit-Kosten verändern, wenn ein Grillenweibchen seine Partnerwahl auf ein oder zwei Signale abstützen kann. Dazu bestimmte ich, wieviel Zeit ein Weibchen bean-spruchte, um sich für einen der beiden Gesänge zu entscheiden. Unterschieden sich die beiden Gesänge in der Zirp-Rate, so benötigte ein Weibchen im Durchschnitt 14 min für die Wahl. Wenn sich entweder die Grundfrequenz oder keine der Komponenten unterschieden, so dauerte die Wahl durchschnittlich ca. 22 min. Variierten beide Komponenten in der Wahlsituation, so vergingen ungefähr 19 min. Dieses Resultat zeigt, dass entgegen theoretischen Annahmen die Verwendung mehrerer Signale für die Partnerwahl nicht mit erhöhten zeitlichen Kosten verbunden ist. Im Gegenteil könnten sich die Kosten sogar reduzieren, wenn mehrere Komponenten bei der Wahl eine Rolle spielen.
Der Werbegesang dient einem Grillenmännchen offenbar zur Übermittlung von Informationen über seine momentane und vergangene Kondition an seine potentiellen Paarungspartnerinnen. Die Weibchen ihrerseits messen bei der Partnerwahl jedoch jener Signalkomponente, welche die vergangene männliche Kondition anzeigt, einen grösseren Stellenwert bei, als der Komponente für seine momentane Verfassung. Die zeitlichen Kosten der Partnerwahl scheinen sich für das Weibchen jedoch nicht zu erhöhen, wenn es mehrere Signale verwenden kann, um Unterschiede zwischen Männchen zu erkennen.



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